Ein Foto und was man daraus alles erfährt:

Wie meine Urgroßmutter auf der Rückseite vermerkt, sieht man auf dem Bild von links nach rechts:

Ludwig Justi (mein Ur-urgroßvater, der Vater meiner Urgroßmutter Edith, 1876-1957), dessen Mutter, Helene Justi geb. Schepp (1844–1931), einen Mann namens Merkel (“Bruder von Guste Schepp-Merkel, Direktor bei Aero Lloyd”), eine Gudrun Bucher, sowie Ilse Schneider, “Sekretärin in der Nationalgalerie” – die Geliebte Justis in den 1920er Jahren.

Weiter hat meine Uroma vermerkt: “Foto zu Ehren der Großmutter, die als erste 80jährige einen Rundflug über Berlin gemacht hat. (Zwischen 1924 und 28).”

Aus Wikipedia erfährt man, dass die Aero Lloyd durch Fusion mit der Junkers Luftverkehr AG am 6. Januar 1926 zur „Deutschen Luft Hansa AG“ wurde. Das Bild lässt sich also noch genauer datieren, als es meine Urgroßmutter tat, es entstand erst nach Januar 1926.

Wikipedia klärt auch über die Identität von “Herrn Merkel” auf, bei dem es sich nicht nur um den Bruder der Ehefrau eines Cousins meiner Urgroßeltern handelte, sondern eben auch um den Direktor des Deutschen Aero Lloyd und damit einen der Mitgründer der Lufthansa, Otto Julius Merkel.

Auf dem Ärmel der Frau im Overall (Gudrun Bucher) steht “12 Ilag Flugltg Tempelhof”. ILAG ist die Junkers Luftverkehr Aktien Gesellschaft, die Flugleitung Tempelhof war für den Betrieb des Flughafens zuständig, es handelt sich also eher nicht um die Pilotin des Flugzeugs, auch wenn die Kleidung diese Vermutung nahe legt, eine Pilotin namens Gudrun Bucher war auch nicht zu finden.

Was sich findet, ist ein Hinweis auf eine Gudrun Bucher, deren Porträt der Maler Reinhold Lepsius kurz vor einem Tod 1922 fertig stellte. Das Bild selbst war nicht zu finden. Lepsius war wiederum mit Ludwig Justi befreundet. (Quelle: Nachruf auf Lepsius im Deutschen Biographischen Jahrbuch für das Jahr 1922 ab S.165.)

Weil ich noch viele offene Fragen hatte, habe ich mich an die Betreiber der Seite adl-luftfahrthistorik.de gewandt. Die prompt erfolgte Antwort hat mich begeistert:

  • „Bei dem Flugzeug handelte es sich […] um eine Fokker-Grulich F II, die im Winter 1924/25 in kleiner Serie von den Werkstätten des Deutschen Aero Lloyd in Berlin-Staaken hergestellt worden war. Initiator für diesen leicht modifizierten Lizenzbau war Dr.-Ing. Karl Grulich, Technischer Direktor des DAL; daher dieser Namenszusatz in der Typenbezeichnung. Grulich war Kollege des Kaufmännischen Direktors Otto Julius Merkel […].“

    Dazu wieder Wikipedia:

    So startete am 6. April 1926 der erste Linienflug der Luft Hansa vom Flughafen Tempelhof. Da das Ziel dieses Flugs Zürich (Flugplatz Dübendorf) war, über Halle, Erfurt und Stuttgart (Flughafen Böblingen), handelte es sich zugleich um den ersten planmäßigen Auslandsflug der Luft Hansa. Das eingesetzte Flugzeug, ein Fokker-Grulich-Hochdecker, trug als Firmenlogo der neuen Fluggesellschaft das blau-gelbe Kranich-Emblem, das aus der Kombination der Firmenlogos der beiden Vorgängerfirmen entstand.

    • „Das abgebildete Flugzeug trägt bereits den Schriftzug der Luft Hansa, die ihren Flugbetrieb am 6. April 1926 aufnahm. Darunter fehlt aber noch der individuelle Flugzeugname, der dort erst später gezeigt wurde. Somit lässt sich das Aufnahmedatum auf 1926 eingrenzen. Der Firmenstempel auf der Rückseite des Fotos zeigt an, dass die Umstellung von Aero Lloyd Luftbild GmbH zu Hansa Luftbild GmbH noch nicht vollzogen war und tatsächlich erst am 29. Juni 1926 erfolgte. Damit ergibt sich eine weitere Eingrenzung für das Aufnahmedatum.“

    Vielleicht war es sogar genau DAS Flugzeug, das den ersten Linienflug aufnahm:

    Quelle: https://www.aircraftinvestigation.info/airplanes/Fokker_F.II.html

    Insgesamt gab es nur drei Flugzeuge vom Typ Fokker F II in Diensten der neuen Luft Hansa, deren Kennzeichen mit D-76 begann: D-765, D-766 und D-767. Eines der Flugzeuge, die D-765, genannt „Eider“ stürzte am 2. Mai 1932 ab, die beiden anderen trugen die Namen „Lahn“ bzw. „Ruhr“, die „Lahn“ wurde schon 1931 zerstört.

    Quelle: https://www.facebook.com/BremenAirport/photos/wir-haben-tief-im-fotoarchiv-gegraben-und-brauchen-heute-mal-wieder-euer-experte/6253207354690116/?_rdr.
    • „Der von Gudrun Bucher getragene Overall […] spricht in Verbindung mit der aufgesetzten Fliegerhaube dafür, dass die junge Dame, so bekleidet, auf dem offenen Sitz neben dem Flugzeugführer als fünfter Passagier an dem Rundflug in Tempelfof teilgenommen hat. Die Fokker-Grulich F II hatte vier Kabinenplätze und zwei noch offene Führersitze für den Piloten und einen Mechaniker. Bei Rundflügen war die Mitnahme eines Bordmechanikers unnötig, so dass stattdessen noch ein weiterer Passagier mitgenommen wurde.“

      Vielen Dank an Herrn Günther Ott!


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