Die Akte aus dem Staatsarchiv Freiburg mit der Signatur B719/1-2514 wurde ursprünglich vom Großherzoglichen Badischen Bezirksamt Schönau angelegt. Adelsberg gehörte bis 1924 zum Bezirk Schönau, danach bis 1936, als die beiden Amtsbezirke Schopfheim und Lörrach zusammengelegt wurden, zum Bezirk Schopfheim und heute zum Landkreis Lörrach.
Diese Zuordnung ist insofern wichtig, als dass die beiden letzten Dokumente in der Akte einmal von 1921 und dann erst wieder von 1949 datieren. Die Lücke könnte sich auch dadurch erklären lassen, dass die dazwischen liegenden Dokumente andernorts archiviert wurden. Aber ich greife vor.
Zunächst einmal beginnt die Akte mit einem Auszug aus dem Ortsbereisungsprotokoll (handschriftlich) des Großherzoglichen Bezirksamts in Adelsberg, erstellt in Schönau am 30.09.1878. Dokumentiert wird, dass in Adelsberg eine Hebamme namens Eva Fräuschle tätig ist, für die jedoch kein Vertrag und keine Vereinbarung über eine Pension vorliegt. Ihr Gehalt (28 Mark Grundgehalt + 5 Mark je Geburt) ist fix vereinbart, es fehlen der Hebamme jedoch Thermometer und „Frigateur“. Der Gemeinderat von Adelsberg wird verpflichtet, einen Vertrag inklusive Bestimmungen bei Berufsunfähigkeit der Hebamme (10 Mark) aufzusetzen, die Gerätschaften werden durch das Amt zur Verfügung gestellt.
Mit diesem Dokument beginnt die Tätigkeit einer Hebamme in der Gemeinde Adelsberg offiziell.
Es folgen eine Reihe von Vermerken bzgl. der Abstimmungen des Gemeinderats und schließlich bereits am 24.10.1878 die Bestätigung, dass ein Vertrag mit Frau Fräuschle abgeschlossen wurde. „Auf den Bezug einer Pension hat die Hebamme Verzicht geleistet.“
Bereits zwei Jahre später, äußert Frau Fräuschle dann jedoch Unzufriedenheit mit ihrem Vertrag. In einem erneuten Protokoll einer Ortsbereisung vom 3. September 1880 vermerkt der Vertreter des Bezirksamts: „Die Hebamme Witwe Eva Freuschle [sic!] beklagt sich über den zu geringen Gehalt (28 M) und wünscht sich wenigstens einen solchen von 34 M […]. Man fand den Antrag auf Erhöhung des Gehalts begründet.“
Der Gemeinderat sieht das jedoch anders. Man hält den (!) aktuellen Gehalt für angemessen und verweist darauf, dass Frau Fräuschle „nach dem mit derselben abgeschlossenen Vertrag vom Jahre 1878 auch freiwillig auf die Gehaltserhöhung verzichtet hat.“
Es scheint sich hier um einen ganz typischen Fall zu handeln, wie man ihn auch heute noch viel zu oft antrifft: Die Hebamme erhielt einen Vertrag auf der Grundlage ihres bis dato üblichen Gehalts und ihr wurde anschließend mit dem Argument eine Gehaltserhöhung versagt, dass sie dem vertraglich festgelegten Betrag ja zugestimmt habe. Ulla Knapp merkt dazu an:
Da Frauen und Männer i.d.R. nicht die gleichen Tätigkeiten ausübten, wurde Lohndiskriminierung meist nicht offen, sondern versteckt, in Form der Abwertung „typisch weiblicher“ gegenüber männlichen Fähigkeiten, praktiziert. Jenseits allen neoklassischen Denkens enthielten die Männerlöhne eine „Geschlechtsprämie“ (Schirmacher 1909/1979), die sich leistungsideologischen Legitimationsmustern nicht fügt. (Knapp S.21)
Es stellt sich jetzt natürlich die Frage, wie ein Gehalt von 28 Mark zu bewerten ist. Online habe ich diese Aufstellungen gefunden:
Die Hebamme Fräuschle wurde demnach weit unter Durchschnitt entlohnt und ihre Forderung nach einer Gehaltsanpassung war sicherlich nicht unangemessen.
Trotzdem sie keine Gehaltserhöhung erhalten hatte, scheint Eva Fräuschle den Dienst als Gemeindehebamme in Adelsberg noch fast 20 Jahre weiter ausgeübt zu haben. Das nächste Dokument in der Akte datiert vom 26. September 1897 und darin stellt der Bürgermeister der Gemeinde, ein gewisser Wagner, fest, dass sie „aus folge schwieriger Krankheit dienstunfähig geworden“ sei. Das Bezirksamt in Schönau soll nun mitteilen, wie man in Adelsberg weiter verfahren soll – man möchte „im Laufe dieses nächsten Winters“ eine „gesunde Person“ anstellen.
Der Akte liegt weiter ein Schreiben des Großherzoglichen Bezirksarztes, Dr. Zix, bei, der das Bezirksamt ersucht, das Bürgermeisteramt in Adelsberg zunächst dahingehend zu beraten, dass diese einen „Vertrag mit einer der drei Hebammen in Zell i/W“ abzuschließen „& daß alsbald die nöthigen Schritte gethan werden zur Gewinnung einer geeigneten Frauensperson für den Hebammenberuf, damit dieselbe noch an die [sic!] im Januar des nächsten Jahres beginnende Hebammenkurs teilnehmen kann.“
Das Bezirksamt schließt sich dem Vorschlag des Bezirksarztes an und fordert die Gemeinde Adelsberg dazu auf, einen Vertrag zur Überbrückung der Betreuungslücke abzuschließen und die Stelle der Hebamme öffentlich auszuschreiben. Notiert wird außerdem: „die Gesamtkosten für Ausbildung einer Hebamme belaufen sich auf 260 M. Kurs & Wohnung in der Anstalt 210 M, Unterricht 40 M, Lehrbuch 6 M, Oberhebamme 4 M. WV in 4 Wochen. Schönau 8.10.97.“
Am 25.10. teilt Bürgermeister Wagner mit, dass man nun einen Vertrag mit der Hebamme Fritz aus Zell im Wiesental abgeschlossen habe, die die Aufgaben der Gemeindehebamme zu den gleichen Konditionen übernehmen wird, wie sie bisher für Frau Fräuschle galten. Es wird deutlich, dass die Hebammen zusätzlich zum Gehalt, das ihnen die Gemeinde regelmäßig zahlte, eine gesetzliche Gebühr je Geburt erhielten. Hierdurch erklärt sich auch das verhältnismäßig niedrige Gehalt ein wenig besser.
Weiter scheint man in Adelsberg bei der Suche nach einer neuen Hebamme jedoch nicht gekommen zu sein und so fragt das Bezirksamt Schönau schließlich am 4. Dezember nach, „was in der Sache geschehen ist. Wir müssen unbedingt verlangen, daß für Adelsberg eine Hebamme ausgebildet wird.“ Die Notwendigkeit einer Hebamme vor Ort, insb. wenn man bedenkt, dass in einem Jahr durchschnittlich etwa 5-7 Kinder zur Welt kamen, ist erstaunlich und deutet auf die Bedeutung der Position der Hebamme hin: „Es kann doch unmöglich gehen, daß die Gemeinde Adelsberg länger ohne Hebamme bleibt, & müßten wir für etwaige Unglücksfälle die ganze Verantwortung dem Gm. Arzt aufbürden.“
Der offenbar vorhandene Gemeindearzt – ein Mann – sollte also von der Verantwortung für „etwaige Unglücksfälle“ im Bereich der Geburtshilfe entlastet werden. Denkbar wäre etwa, dass die Hebamme aus Zell nicht rechtzeitig eintreffen oder andernorts gebraucht würde. Deutlich wird aber auch, dass die Hebamme nicht nur als Geburtshelferin betrachtet wurde, sondern – und daher wohl auch der regelmäßige Lohn – eben auch als ständige Betreuerin der Frauen des Ortes. Die Rolle der Hebamme wird dadurch vielmehr zu der einer gynäkologischen Fachkraft.
Am 11. Dezember 1897 ist es dann soweit: Katharina Maier betritt die Szene. In einem erneuten Schreiben des Bürgermeisters Wagner an das Bezirksamt in Schönau teilt dieser mit, dass sie „in der Sitzung des Gemeinderats […] nach vorausgegangener Wahl hiesiger Gemeindefrauen“ zur zukünftigen Hebamme bestimmt wurde. Sie soll dafür 40 Mark pro Jahr (!) erhalten.
Nach ihrer (Aus)Wahl soll Katharina vom Amtsarzt „bezüglich ihrer Fähigkeit zu diesem Dienste“ untersucht werden, was laut dem der Akte beiliegenden Zeugnis des Bezirksarztes vom 20.12.1897 erfolgte. Auch „an dem für dieselbe von der Gemeinde Adelberg ausgeworfenen (?) Gehalt von 40 Mark pro anno“ hat der Bezirksarzt „nichts auszusetzen“.
Angesichts der oben gezeigten Vergleichswerte eine fast lächerliche Summe.
Der ganze Vorgang ist aus mehreren Gründen interessant. Zum Einen wird der (Aus)Wahlvorgang deutlich: Die Frauen von Adelsberg hatten – wie es seit Jahrhunderten Tradition war – eine aus ihrer Mitte benannt, die nun zur Hebamme ausgebildet werden sollte. Erst anschließend hatte der Gemeinderat diese Wahl offiziell beschlossen.Die Wahl fiel dabei nicht auf eine erfahrene Geburtshelferin, sondern auf eine junge Mutter, die nun zu einem Kurs entsandt werden sollte:
Die Gemeinde Adelsberg erhält [… den] Auftrag die C. Maier nunmehr sofort […] beim Gr[oßherzoglichen] Oberhebarzt in Freiburg zu dem am 1. Jan 1898 beginnenden Kurs anzumelden. Auch ist dafür zu sorgen daß auf 1. Januar N.J. spätestens die Summe von 260 M […] an die Verwaltung (?) der Entbindungsanstalt gelange da die Aufnahme ohne diese Vorausbezahlung nicht erfolgt. Zu dem mit der C. Maier abzuschließenden Vertrag empfiehlt es sich aufzunehmen, daß dieselbe verpflichtet ist, dann den gesamten Betrag der Gemeinde zurückzuerstatten, falls sie vor Ablauf von 3 Jahren die Thätigkeit einer Gemeindehebamme in Adelsberg aufgiebt, & ist der Vertrag auch von ihrem Ehemann unterzeichnen zu lassen. Sollte die Maier über 30 Jahre alt sein, so müsste dies umgehend anhören anzuzeigen.
Anmerkungen:
Oberhebarzt in Freiburg: Der Lehrstuhl für Gynäkologie an der Freiburger Universität hatte gleichzeitig die Funktionen eines Hebammenlehrers und Kreisoberhebarztes inne. (Neumann, H.P.H.: Rudolf Kaltenbach zum 150. Geburtstag und 100. Todestag, in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde 53 (1993), S.204-211, hier S.205.) Dort an der Universität verfasste Rudolf Kaltenbach im Jahre 1874 das grundlegende Lehrbuch „Die Operative Gynakölogie“, der damit zum Mitbegründer der modernen Gynäkologie wurde. (S.206)
Kurs: Laut Medicinalordnung des Großherzogthums Baden von 1840 mussten die ausgebildeten Hebammen sich ständig fortbilden:
Den, jährlichen durch den Oberhebarzt abzuhaltenden, Prüfungen hat jede Hebamme bei einer angemessenen Strafe pünktlich beizuwohnen, insofern sie nicht durch wichtige Abhaltung, welche sie jedenfalls dem Oberhebarzte anzeigen muß, daran verhindert ist. Von der Amtskasse hat sie hiefür die bestimmten Diäten als Taggeld, und von der Gemeinde freien Transport zu Wagen nach dem Průfungsorte und von demselben zurück anzusprechen (§13 der Instructione für die Hebammen, S.97).
Entbindungsanstalt
über 30 Jahre alt sein: Für weibliche Angestellte galt jedoch spätestens der 30. Geburtstag als ein kritisches Datum. Post und Bahn stellten ebenso wie viele private Chefs ausschließlich jüngere Frauen ein, besonders, wenn es sich um Verkäuferinnen handelte. (Frevert S.318)
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